von Leonie Nausester und Vivien Jung
Deutschland ist eine Demokratie – dies ist ein allgemein bekannter Fakt. Doch was bedeutet das eigentlich genau?
Die Demokratie ist „Volksherrschaft“, also der Zustand, in welchem jede/-r Bürger/-in eines Landes eine Stimme hat, die wahrgenommen und miteinbezogen wird. Aber auf der ganzen Welt entwickeln sich angebliche Demokratien immer mehr zum Gegenteil. Entgegen der Erwartungen finden diese Entwicklungen direkt nebenan – in Polen, Belarus, Ungarn – aber natürlich auch über Europa hinaus statt.
In den diesjährigen digitalen SKI-Seminaren zum Thema Demokratie haben wir Vorträge über genau dieses Problem gehört. Unsere vierteilige Beitragsserie dient dem Überblick über einige demokratische Krisengebiete und den Vorträgen, die wir in der ersten Hälfte des SKI-Jahres miterleben durften.
Belarus: demokratische Institutionen unter Beschuss
Ein prominentes Beispiel für demokratische Strukturen unter Beschuss bildet momentan Belarus, das in diesem Zuge starke internationale Aufmerksamkeit genoss. Die Beachtung internationaler Konflikte in den westlichen Medien scheint uns stark von der jeweiligen kulturellen Relevanz beeinflusst. Noch vor kurzer Zeit war vielen „Belarus“ hauptsächlich unter dem Namen „Weißrussland“ bekannt, noch immer ausschließlich betrachtet im geschichtlichen Zusammenhang als Satellitenstaat Russlands.
Die Präsidentschaftswahl 2020, international auch als Scheinwahl betitelt, zog endlich die Augen der politischen Öffentlichkeit auf die Missstände. Aljaksandr Lukaschenka, der seit 26 Jahren diktatorisch regiert, ist hier das Objekt der Massendemonstrationen – die größten seit Ausrufung der Republik Belarus im Jahre 1991. Es gilt als allgemein anerkannt, dass es bei der Wahl am 9. August 2020 zu Manipulationen kam und diese nur daher zu Gunsten Lukaschenkas ausging (u.a. durch die Festnahme relevanter Gegenkandidaten bereits im Vorwege). Das Land läuft immer mehr auf eine vollkommene Diktatur zu, wachsende Unterdrückung und Unruhen stehen an der Tagesordnung.
Doch Belarus hat bewiesen, dass das Land über starke politische Gegengewichte verfügt: Zwar wurden zwanzig Tage nach der Wahl, in der dritten Woche der Proteste, Journalist*innen der westlichen Welt die Arbeitserlaubnis entzogen und lokale Aktivist*innen eingesperrt und angegriffen – damit war die Opposition jedoch alles andere als tot. Die Aufstände waren Zeugnis eines unglaublichen Durchhaltevermögens und einer starken Willenskraft – trotz zahlreicher Verletzter und Tote.
Ein Ende ist bisher allerdings noch nicht in Sicht, auch jetzt geht der Kampf noch weiter. In einem Gespräch mit einer Referentin aus Belarus erfuhren wir von den täglichen Hindernissen, die politisch Aktive überwinden müssen. Studierende, die in der Geschichte häufig eine tragende Rolle politischer Bewegungen gespielt haben, müssen beispielsweise mit dem Verlust ihres Studienplatzes rechnen. Fatal, wenn man bedenkt, dass belarussischen Student*innen oft ein Studium im Ausland verwehrt bleibt.
Problematisch aus unserer Sicht ist hierbei die geringe Unterstützung anderer europäischer Staaten, die einen potentiellen Anker für viele Belarus*innen darstellen könnten. Zwar äußerten zahlreiche westliche Staaten ihre Besorgnis über die Geschehnisse, die tatsächlich ergriffenen Maßnahmen waren derzeit bisher aber eher milde. Noch im Oktober sah die EU davon ab, Sanktionen auch gegenüber Lukenschenka zu verhängen, um die diplomatischen Beziehungen nicht weiter zu belasten. Am 6. November, dem ersten Tag der neuen Amtszeit, verhängte sie dann letztlich doch Einreiseverbote und Kontensperrungen.
Den Gegensatz dazu bilden Länder wie China, Russland, die Türkei, Syrien und Venezuela – Länder, die selbst scharf für ihre derzeitige Regierungsführung kritisiert werden. Sie gratulierten Lukaschenka zur gewonnenen Wahl und äußerten keinerlei Bedenken.