von Manon Funke, Emma Korte und Yasmin Sedighi Renani
Hunger, Armut und Krieg sind den meisten als Motive zur Flucht aus der Heimat bekannt, daneben ist aber auch Umweltzerstörung als Ursache von Flucht und Abwanderung anzuführen. Das Problem: Das Konzept des “Umweltflüchtlings” bleibt verwaschen und die Datenlage unsicher, obwohl die Anzahl dieser stetig zunimmt.
Was ist ein umweltflüchtling?
Der Begriff des Umweltflüchtlings wird unterschiedlich verwendet, generell beschreibt er Menschen, die sich gezwungen sehen, ihre Heimat auf Grund ihrer zerstörten Umwelt zu verlassen.
Häufig besteht ein fließender Übergang von der Flucht vor der Umwelt zu anderen Abwanderungsmotiven. Flieht also jemand, weil sein Acker keine Bewirtschaftung mehr erlaubt, verlässt er seine Heimat, weil Alternativen zum Lebensunterhalt fehlen – also aus Armut. Wer flieht, weil aus ökologischen Problemen ein gesellschaftlicher Konflikt entstanden ist wie z.B. in Ruanda, flieht im Endeffekt vor Krieg und Gewalt.
So ist Umweltzerstörung ein wichtiges Abwanderungsmotiv neben vielen anderen, das sich aber nur selten als die einzige Fluchtursache anführen lässt.
Fluchtursachen von umweltflüchtlingen
Als Ursache von Umweltflüchtlingen können zahlreiche verschiedene Umweltveränderungen genannt werden, die sich in Deposition, Degradation, Desaster und Destabilisierung zusammenfassen lassen.
Bei der Deposition, welche die übermäßige regionale Umweltzerstörung beschreibt, übersteigt der Schadstoffeintrag in bestimmten Gebieten die kritischen Grenzwerte, sodass diese unbewirtschaftbar oder gar unbewohnbar werden.
Ein wohl sehr bekanntes Beispiel dafür ist die heute weitgehend verlassene Umgebung des Kernreaktors im ukrainischen Tschernobyl. Es wird geschätzt, dass 130.000 Menschen ihre Heimat aufgrund des Reaktorunfalls aufgeben mussten.
Weitere Abwanderungsgründe sind beispielsweise der Rückstand von Pestiziden aus der industriellen Landwirtschaft, welche ein Land unbewohnbar machen können. Oder die Schadstoffdeposition durch das Ausbeuten von Bodenschätzen, etwa beim Uranabbau im indischen Orissa oder der Ölförderung in Nigeria, wodurch die Nutzung der Natur in Form von Ackerbau, Jagd oder Fischfang verhindert wird.
Wenn Menschen aus den betroffenen Regionen keine alternative Lebensgrundlage geboten wird, muss die lokale Bevölkerung ökologisch bedingt abwandern.
Unter Degradation wird Veränderung oder der Verlust der Funktionen der Natur verstanden, dadurch wird die Nutzung von Naturschätzen für den Menschen vermindert oder verhindert.
Historisch verursachte die Degradation der natürlichen Umwelt durch den Menschen mehrfach die Aufgabe von Siedlungsgebieten, sie wird für den Untergang vieler geschichtlicher Zivilisationen – etwa der Industriestruktur in Lateinamerika – mitverantwortlich gemacht.
Auch heute bleiben der Verlust des Bodens und seiner Fruchtbarkeit und der Mangel an Frischwasser wesentliche Fluchtgründe: ist die Umwelt in einem Gebiet so weit zerstört, dass die bestehende Wirtschafts- und Lebensweise nicht mehr aufrechterhalten werden kann, verbleibt betroffenen Bewohnern das Abwandern als einzige Lösung.
Hierbei sind vor allem Entwicklungsländer betroffen, in denen laut Greenpeace drei viertel der weltweiten Bodenzerstörung stattfindet, wobei hinzukommt, dass hier eine große Anzahl an Menschen auf ihr Land als existenzielle Erwerbsquelle/Lebensgrundlage angewiesen sind.
Zudem sind noch Desaster also Naturkatastrophen als Fluchtursachen zu nennen.
Teils folgen diese direkt der Umweltdegradation, wenn Überschwemmungen und Erdrutsche durch menschliche Eingriffe in den Naturhaushalt begünstigt und mitverursacht werden. Gerade in Entwicklungsländern sind Flucht und Abwanderung oft die Folge. Die Tendenz ist dabei steigend.
In Verbindung mit den drei genannten Fluchtursachen besteht oft eine umfassende Destabilisierung des sozialen Gefüges. Bei einigen Kriegen wie dem Tuaregkonflikt im westafrikanischen Sahel oder beim Zapatistenaufstand in Mexiko spielte die Zerstörung der Umwelt eine Rolle und somit sind die Menschen, die vor diesen Auseinandersetzungen fliehen, deshalb auch als “Umweltflüchtlinge” zu verstehen.
Dabei ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar, in welchen Gebieten die ökologische Degradation durch die soziale Destabilisierung in Zukunft zu “Umweltkriegen” führen könnte.
Rechtliche Lage von Umweltflüchtlingen
Im Völkerrecht sind „Umweltflüchtlinge“ ebenfalls eine unbekannte Größe.
Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 erkennt Umweltzerstörung nicht als Fluchtgrund an und bietet “Umweltflüchtlingen” folglich keinen Schutz.
Dieser völkerrechtliche Vertrag legt im Geiste der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 – noch gänzlich beeinflusst von den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs – explizit rein persönliche und soziale Gründe als Legitimation für eine Flucht zugrunde, nämlich „Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung“. Zudem erfasst die Genfer Konvention auch nur grenzüberschreitende Fluchtbewegungen, nicht jedoch das tatsächlich häufiger auftretende innerstaatliche Abwandern.
Das Abkommen wurden von etwa 150 der weltweit rund 200 Staaten ratifiziert und gilt daher als internationaler Standard im Asylwesen. Regionale Abmachungen zum Schutz von Flüchtlingen in Afrika und Lateinamerika sind breiter gefasst als die Genfer Konvention und umfassen weitere Kategorien von Flüchtlingen, erkennen Umweltdegradation aber ebenfalls nicht als Fluchtgrund an.
Auch das 1949 eingerichtete Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) behandelt “Umweltflüchtlinge” nur am Rande, da diese Menschen in der Regel weiterhin den Schutz ihres Staates genießen und deshalb nicht “Flüchtlinge” im engen Sinne des Flüchtlingsrechts sind.
Darüber hinaus wird auch in der wissenschaftlichen Literatur der Begriff des “Umweltflüchtlings” vielfach vermieden und stattdessen von “Umweltmigranten” gesprochen.
Dies ist zurückzuführen auf die Befürchtung, dass der Status der politischen Flüchtlinge gemäß der Genfer Konvention geschwächt werden könnte, sollte der Flüchtlingsbegriff auf zu große Menschengruppen ausgedehnt werden.
Umfang und konkrete Beispiele
Der Klimawandel verursacht Wetterextreme. Es ist zu erwarten, dass Dürren und Überflutungen zunehmend zu Ernteverlusten und Hungersnot führen werden. Zudem raubt der steigende Meeresspiegel Lebensraum und ist damit eine Fluchtursache. Aufgrund der globalen Klimaerwärmung verschlechtern sich die Lebensbedingungen für Hunderte Millionen Menschen, insbesondere in den ärmsten Ländern der Welt, so dramatisch, dass sie gezwungen sein werden, ihre Heimat zu verlassen, um zu überleben.
Schon heute sind mehr als 20 Millionen Menschen auf der Flucht vor den Auswirkungen des Klimawandels, mehr als die Hälfte aller Flüchtlinge weltweit. Besonders betroffen sind unter anderem die Sahel Zone in Afrika, Bangladesch und viele Inseln im Südpazifik.
Stellen Sie sich vor, Sie wären in der Situation eines Klimaflüchtlings. Wenn sie auf das Stück Land schauen, welches Sie seit Jahren beackert haben, welches die Ernährungsgrundlage ihrer Familie für Generationen gewesen ist, welches sie so lange Heimat genannt haben, erstreckt sich eine karge Staublandschaft vor ihnen. Was einmal grün war, ist jetzt grau. Was ihnen Freude bescherte, füllt sie nun mit Trauer. Was sie ihren Rückzugsort nannten wird der Startpunkt für eine Reise ins Unbekannte. Mitnehmen können sie nur eine kleine Tasche mit dem Nötigsten, denn die Reise wird lang sein. Wie lang, das ist Ihnen nicht bekannt.
Das wirtschaftliche Standbein der meisten Inselstaaten im Pazifik ist die Landwirtschaft.
Die vielen Kleinbauern leben oft in Küstennähe, da die Staaten aus vielen kleinen Inseln bestehen.
Durch den steigenden Meeresspiegel, das warme Klima und Überschwemmungen der landwirtschaftlichen Flächen werden viele der Inseln bis 2070 unbewohnbar sein.
Die Inseln verschwinden durch ihre geringe Höhenlage langsam im Meer, der landwirtschaftliche Ertrag ist durch die Dürren stark beeinträchtigt und die Böden werden durch das überschwemmende Salzwasser unfruchtbar. Seit 2009 werden deshalb beispielsweise die etwa 2.000 Bewohner der Tulun-Inseln familienweise auf die Insel Bougainville umgesiedelt, damit sie nicht nachdem ihre Heimat unbewohnbar geworden ist, als Flüchtlinge Asyl beantragen müssen.
Durch diese kontrollierte Umsiedlung wird verhindert, dass die Bewohner der Tulun-Inseln ein gänzlich neues Leben in einer fremden Umgebung aufbauen müssen. Stattdessen können sie sich bereits langsam an ihre neue Heimat gewöhnen und Vorkehrungen treffen.
Ein anderes von der Umweltflucht betroffenes Gebiet ist die Sahel-Zone in Afrika.
Diese Zone grenzt an die Sahara und in ihr befinden sich die Staaten Mali, Niger, Tschad, Sudan, Senegal, Burkina Faso, Äthiopien und Mauretanien.
Im Norden der Sahelzone herrscht ein trocken-heißes Klima und hier leben fast ausschließlich Nomaden mit ihren Rinder- oder Kamelherden. Der Süden der Zone hat ein feucht-heißes Klima, das für die Landwirtschaft geeignet ist. Jährlich dehnt sich die Sahara bis zu 10 km in diese Zone hinein aus, da die Böden durch Überweidung und Rodung unfruchtbar werden. Dazu werden immer mehr Tiefbrunnen gebohrt, um die Bevölkerung der Sahelzone mit Wasser zu versorgen, als Konsequenz sinkt jedoch der Grundwasserspiegel. Durch all diese Begebenheiten wird die Sahelzone immer unbewohnbarer, sodass es dort zu einer massiven Abwanderung kommt.
Eine Studie zu Klimaflüchtlingen, die Greenpeace anlässlich des diesjährigen UN-Weltflüchtlingstages vorstellte, belegt, dass weltweit in den nächsten 300 Jahren etwa 200 Millionen Klimaflüchtlinge drohen, wenn sich der menschengemachte Klimawandel so wie bisher fortsetzt. 200 Millionen, das sind so viele Menschen wie die USA in den 70er Jahren an Einwohner zählte!
LÖSUNGSANSÄTZE: Vieles was dem Klima gut tut, tut dem Menschen auch gut.
Besonders bedeutend sind unmittelbare Maßnahmen zur “Symptombekämpfung”, also zur Linderung des direkten Elends der Menschen, die aufgrund von Umweltzerstörung ihre Heimat verlassen müssen. Hierzu zählen Systeme der Prävention und verbesserte Hilfsmaßnahmen vor Ort.
Denn entgegen manchen Bedrohungsszenarien in Industrieländern bleiben die meisten Umweltflüchtlinge in der Nähe ihrer verlassenen Heimat, noch im selben Land oder in Nachbarstaaten. 90 bis 95 Prozent aller weltweit grenzüberschreitenden Flüchtlinge fanden Zuflucht in anderen, oft benachbarten Entwicklungsländern und leben dort nun unter katastrophalen Bedingungen, da die Nachbarländer selbst nicht die Kapazitäten besitzen, sie aufzunehmen.
Dabei führt die behelfsmäßige Ansiedlung der Flüchtlinge in ihren armen Gastländern vielfach zu weiterer Umweltzerstörung. Zum Beispiel hatte Malawi, ein Hauptaufnahmeland für Flüchtlinge aus Mosambik, 1990 zugleich die weltweit zweitgrößte Entwaldungsrate, mitverursacht zum Teil durch die eingewanderten Flüchtlinge.
Zur Verhinderung von Umweltflucht durch Deposition sind verbesserte Industriestandards, die entsprechende Stoffeinträge verhindern und Unfällen und Katastrophen vorbeugen, notwendig.
Auch der Verzicht auf besonders riskante Tätigkeiten, wie die Kernkraft, würde einen riesigen Beitrag zur Verhinderung von Umweltflüchtlingen leisten.
Komplexer ist die Situation bei den tieferen Ursachen der Umweltmigration, vor allem bei der Degradation der Umwelt, die armutsbedingt ist: dem Abholzen von Wäldern durch Wanderbauern, der Übernutzung von Böden, dem Raubbau an Grundwässern durch Tiefbrunnen oder der Bodenversalzung durch fehlgeleitete Bewässerung.
Natürlich können auch bei derartigen Umweltproblemen umweltpolitische Maßnahmen getroffen werden: etwa durch bessere und ökologisch verträglichere Anbaumethoden, durch eine Optimierung der Bewässerungsysteme oder durch Eingriffe in das ökologisch oft fragwürdige Weltmarktgeschehen bei Tropenholz und Exportlandwirtschaft.
Nun stellt sich die Frage, wie man selbst einen Beitrag leisten kann, um die Fluchtursachen von Millionen von Menschen zu verringern?
Da, wie oben beschrieben, die Klimaflüchtlinge die größte Gruppe der Umweltflüchtlinge darstellt, ist es notwendig die globale Erwärmung zu minimieren. Hierzu kann jeder Einzelne durch die Reduzierung seines alltäglichen Treibhausgasausstoßes beitragen.
Um nur ein paar Beispiele zu nennen, die auch noch weitere positive Effekte haben: Egal, ob Herz-Kreislauf-System oder Muskeln: Radfahren bringt den ganzen Körper in Top-Form! Lokale Lebensmittel haben keinen weiten Weg hinter sich und sind frischer.
Eine weitere Maßnahme ist die Unterstützung von Organisationen, die den vom Klimawandel betroffenen Menschen helfen, wie z.B. die Welthungerhilfe: die Organisation baute z.B nach dem verheerenden Taifun Haiyan die Philippinen schwer getroffen hatte, zusammen mit den Einwohnern sturmsichere Häuser und verbesserte das Frühwarnsystem. Als im Dezember 2014, ein Jahr nach dem Taifun Haiyan, der Wirbelsturm Hagupit mit rund 170 Stundenkilometer zuschlug, waren die Insulaner vorbereitet.
Klar ist, die globalen Umweltveränderungen sind als Schatten der Globalisierung bislang vernachlässigt worden, dabei sind sie gerade mit Blick auf das Flüchtlingsproblem Kernaufgaben der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts und können nur durch die Zusammenarbeit von allen Staaten bewältigt werden.