von Anna Rumpf & Carla Franz
Wie ist es eigentlich, “anders” auszusehen? Aus welchem Land kommst Du? Wie lange lernst Du schon Deutsch? Würde Dir jemals in den Sinn kommen, einem weißen Menschen diese Fragen zu stellen? Vermutlich eher nicht…
In unserer Gesellschaft scheint es aber normal, dass People of Colour (PoC = nicht Weiße) mit diesen Fragen konfrontiert werden. Neben unbedachten, potenziell verletzenden Fragen zählen leider auch rassistisch motivierte “Hate Speech” und Gewalttaten gegen nicht-weiße Mitmenschen zu unserer gesellschaftlichen Realität. Der Tod von George Floyd ist dafür das wohl prominenteste Beispiel. Doch Rassismus ist nicht nur ein individuelles Problem – Rassismus ist ein System. Egal ob im Alltag oder durch Institutionen, bewusst oder unterbewusst – Rassismus ist in unserer Gesellschaft weit verbreitet und beeinflusst uns alle. Er vereitelt Chancen – in der Bildung, im Beruf, in der Politik, bei der Integration – und ist daher eine potenzielle Gefahr für unsere Demokratie. Die Herrschaft des Volkes bezieht sich schließlich auf das ganze Volk – nicht nur den weißen Teil der Bevölkerung.
Doch was ist Rassismus überhaupt?
Wenn man den Duden befragt, findet man u.a. folgende Definition:
“Lehre, Theorie, nach der Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen mit bestimmten biologischen oder ethnisch-kulturellen Merkmalen anderen von Natur aus über- bzw. unterlegen sein sollen.“
https://www.duden.de/rechtschreibung/Rassismus (06.06.2021)
Rassismus ist also eine besondere Form der Diskriminierung. Es gibt nicht den einen Rassismus, sondern viele verschiedene Rassismen, je nach Land, je nach sozialem Umfeld. Doch in drei Punkten ist jede Form von Rassismus gleich: Erstens, Menschen werden vermeintlichen “Rassen” zugeordnet. Zweitens, zu Rassismus gehören immer zwei Seiten. Auf der einen Seite stehen weiße Menschen, die sich kulturell oder biologisch “überlegen” sehen und daher gesellschaftliche Privilegien für sich in Anspruch nehmen, auf der anderen People of Colour, die vermeintlich “unterlegene Rasse”. Sie sind die Rassismusbetroffenen und werden in unserer Gesellschaft benachteiligt. Drittens, rassistisches Gedankengut beruft sich zwangsläufig auf vermeintliche biologische und kulturelle Merkmale einer Bevölkerungsgruppe, positiv und negativ. Wobei sich die dominante Gruppe – weiße Menschen – ein Set von Eigenschaften zusammen geschnitten hat, welches ihre gesellschaftliche Stellung sichert. Bei Rassismusbetroffenen werden die negativen Eigenschaften in den Vordergrund gerückt.
Rassismus bedeutet nicht, dass alle schwarzen Menschen ausnahmslos unterprivilegiert sind und alle weißen Menschen privilegiert. Auch weiße Menschen können benachteiligt werden. Trotzdem werden sie deshalb kein Opfer von Rassismus. Von Diskriminierung? Möglich. Von Rassismus? Nein. So ist Rassismus einfach nicht konzipiert. Rassistische Strukturen sind gleichzusetzen mit der strukturellen Bevorzugung von weißen Menschen.
Manch einer denkt, Rassismus sei ein uraltes Phänomen. Es sei immer da gewesen und wird immer da sein, solange es Menschen gibt. Diese Annahme ist falsch. Sie mag vielleicht auf Fremdenhass zutreffen, doch Rassismus – das “Rassendenken” – ist nur wenige Jahrhunderte alt.
Die Entdecker legten den Grundstein. Nehmen wir Christoph Kolumbus als Beispiel. Als er auf den Bahamas strandete, sah er sich mit den Menschen konfrontiert, die dort zuhause waren. Sein Plan war die Insel zu erobern, also musste eine Rechtfertigung her, um seinen barbarischen Umgang mit den Einheimischen zu begründen. Diese Situation war die Geburtsstunde der Theorie der Inferiorität bestimmter Bevölkerungsgruppen gegenüber anderen.
Rassismus wie wir ihn heute kennen, hat jedoch seinen Ursprung in der Aufklärung. Die hoch gepriesene Fähigkeit zur Vernunft wurde nicht-weißen Menschen (und Frauen) abgesprochen. Eine Begründung war zum Beispiel die Klimatheorie von Immanuel Kant. Den Schwarzen hätte die afrikanische Sonne einfach das Hirn weg gebrutzelt, so der bekannteste Philosoph der Aufklärung.
Die monotheistischen Glaubensgemeinschaften boten ebenfalls eine Theorie, bekannt als “the Curse of Ham”. In der Kurzfassung: Noah verflucht den Sohn seines Sohnes Ham aufgrund einer begangenen Sünde. Obwohl in der Bibelstelle keine Hautfarben erwähnt werden, nutzten die abrahamitischen Weltreligionen die Geschichte, um Afrikaner*innen (die Nachfolger*innen von Ham) als verflucht darzustellen. Egal welche Theorie man sich heraus pickt, sie alle verfolgten denselben Zweck: Sklaverei, Kolonialismus und den vermeintlichen weißen „Zivilisierungsauftrag“ zu rechtfertigen. Ausbeutungsbestrebungen und die Idee des Sozialdarwinismus sind kein Nebenprodukt des wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwungs in westlichen Ländern. Die rassistisch begründete Hierarchie ist eine zentrale Säule unserer heutigen Gesellschaft.
Rassismus, wie wir ihn heute kennen, ist vor allem kulturell begründet. Der Kulturalismus entwickelte sich besonders nach dem zweiten Weltkrieg. Es wird davon ausgegangen, dass ein bestimmter Körper auch eine bestimmte Kultur in sich trägt. Einem Aussehen werden also kulturelle Eigenschaften zugeordnet. Negativ und positiv! Du erwartest doch auch, dass in einem italienischen Restaurant italienische Köch*innen am Pizzaofen stehen, oder? Wenn man darüber nachdenkt, ist das allerdings kompletter Unsinn. Warum sollten Italiener*innen besser Pizza machen können als z.B. Chines*innen mit gleicher Ausbildung? Bevor wir zu der Story hinter einigen Stereotypen kommen, nochmal ganz deutlich: Jede der aufgeführten Theorien ist willkürlich, wissenschaftlich unbegründet und losgelöst von der Realität. Keine einzige beruht auf sachlich begründeten Erkenntnissen oder gar Beweisen!!! Die rassistischen Theorien wurden von weißen Menschen zu ihrem eigenen Vorteil erfunden und müssen demnach auch von Menschen (weiß und schwarz) wieder aus der Welt geschafft werden.
Doch um die rassistischen Ideologien aus den Köpfen der Gesellschaft zu verbannen, müssen Weiße erst einmal die Vorurteile, die sie gegen Nicht-Weiße haben erkennen und versuchen, diese los zu werden. Es gibt immer noch zu viele Beispiele von strukturellen Rassismus. Als Beispiel eignet sich hier das Thema Wohnungssuche sehr gut. Viel zu oft hat man Geschichten von nicht-weißen Menschen gehört, die aufgrund ihres nicht deutsch klingenden Namens oder ihrer nicht weißen Hautfarbe eine Wohnung nicht bekommen haben.
Neben dem diskriminierenden, ausschließenden Rassismus gibt es auch den sogenannten “positiven” Rassismus. Selbst gut gemeinte Komplimente können schnell nicht mehr ganz so schmeichelhaft sein, wenn man sich den historischen Hintergrund bewusst macht. Tanzbegabung oder besondere Schnelligkeit sind sensiblere Themen, als man auf Anhieb denken würde. Deswegen solltest du das nächste Mal am besten zweimal nachdenken, bevor Du eine nicht weiße Person fragst, wo sie herkommt oder ihr irgendwelche vermeintlich positiven/negativen Eigenschaften nachsagst. Wie würdest Du Dich denn fühlen, wenn jemand zu Dir sagt, dass Du doch dafür, dass Du nicht “typisch deutsch” aussiehst, sehr gut deutsch sprechen würdest, obwohl Du hier geboren wurdest.
Lasst uns gemeinsam das System Rassismus bekämpfen. Denn nur wenn wir alle an einem Strang ziehen, können wir diese Strukturen überwinden, die sich ohnehin niemals in unserer Gesellschaft hätten einnisten sollen.
Zum Schluss haben wir noch eine kleine Liste zusammengestellt, wie Du Dich informieren und weiterbilden kannst, um Dich für mehr Diversität und Toleranz in der Gesellschaft einzusetzen.
- Lies Bücher über Rassismus
- Folge Nicht-Weißen auf Social-Media-Plattformen (Erweitere deinen Horizont!)
- Mache PoCs Mut
- Halte dagegen, wenn jemand sich rassistisch äußert
- Unterstütze Bildungsveranstaltungen
- Fördere eine vielfältige Debattenkultur