von Emma Sasse, SKI Jahrgang 2021/22
450 Millionen Einwohner*innen, 27 Mitgliedstaaten, 24 Amtssprachen, 9 Währungen und 2 Verträge. Das ist die Europäische Union. Täglich hören wir etwas über sie und als Europäer*innen kommen wir nicht an ihr vorbei. Sie beeinflusst unser Leben täglich, auch wenn es Vielen nicht bewusst ist. Sei es die Reisefreiheit innerhalb der EU, die Möglichkeit innerhalb der EU zu studieren, zu arbeiten und zu leben oder der nun schon über 70 Jahre lange Frieden in Europa. Die Errungenschaften der Europäischen Gemeinschaft sind für uns heutzutage selbstverständlich. Was genau ist also die EU und genügt das Erreichte, um ein eigener Staat zu sein oder zu werden?
Was genau ist die EU?
Die Europäische Union (EU) ist ein einzigartiger wirtschaftlicher und politischer Zusammenschluss 27 europäischer Mitgliedsstaaten. Die Vorläuferorganisation der EU hat ihren Ursprung in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Sie basierte auf den Ideen des damaligen französischen Außenministers Robert Schuman (1886-1963). Dieser schlug am 9. Mai 1950 die Gründung einer „Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EGKS) vor, an der alle europäischen Staaten gleichberechtigt zusammenwirken sollten. Dahinter stand die Idee, dass Länder, die Handel miteinander treiben, wirtschaftlich abhängig voneinander sind und daher kriegerische Auseinandersetzungen vermeiden werden (vgl. Amt für Veröffentlichung der Europäischen Union 2019: 7). Ein paar Jahre später, 1957, unterzeichneten Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, Luxemburg und die Niederlande, die Gründungsmitglieder der EKGS, die Römischen Verträge zur Gründung der „Europäischen Atomgemeinschaft und Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG). 1993 trat dann der Vertrag von Maastricht in Kraft, durch den die EWG zur Europäischen Gemeinschaft (EG) wurde und den Beschluss zur Wirtschafts- und Währungsunion beinhaltete. Im selben Jahr wurde sie in „Europäische Union“ umbenannt. Der letzte Änderungsvertrag, der „Lissabon-Vertrag“ trat 2009 in Kraft. Alle früheren Verträge sind damit Teil der derzeitigen Verfassung geworden.
Seit den Anfängen haben sich weitere Länder der EU angeschlossen und einen großen gemeinsamen Markt, den sogenannten Binnenmarkt, gegründet, dessen Potenzial laufend weiterentwickelt wird. Bezogen auf die umgesetzten Werte ist er der größte Binnenmarkt der Welt (vgl. Prof. Dr. Eckart D. Stratenschulte 2019: 10). Im Binnenmarkt gelten vier Freiheiten: die Niederlassungsfreiheit für Unternehmen, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer*innen, die Kapitalverkehrsfreiheit und die Waren- und Dienstleistungsfreiheit. Diese Freiheiten sind der Grund, warum wir als Europäer*innen das Recht und die Freiheit haben, selbst wählen zu können, in welchem EU-Land wir arbeiten, studieren, leben und unseren Ruhestand verbringen möchten. Jeder EU-Staat muss Bürger*innen aus der Union genauso behandeln wie seine eigenen Bürger*innen.
Was also als reine Wirtschaftsgemeinschaft begann, ist nun zu einer Organisation geworden, die vom Klimawandel über den Umweltschutz und die Gesundheit bis hin zu den Außenbeziehungen und zu Sicherheit, Justiz und Migration zahlreiche Politikfelder abdeckt. Damit ist die EU eine supranationale Organisation. Das bedeutet, dass sie ein Zusammenschluss von Staaten ist, die ihre nationalen Rechte teilweise auf gemeinsame Institutionen übertragen. Die Organe der EU entscheiden nach dem Mehrheitsprinzip in bestimmten Politikbereichen verbindlich für alle Mitgliedstaaten. Vier Bereiche fallen komplett in den Zuständigkeitsbereich der EU: die Währungspolitik, das Wettbewerbsrecht, die Zollunion und die Außenhandelspolitik. Acht Bereiche sind gemeinsame Aufgaben der EU und der Mitgliedsstaaten: die Sozialpolitik, die Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Umweltpolitik, Verkehr, Landwirtschaft und Fischerei, die Energiepolitik, der Verbraucherschutz und die Forschung und Entwicklung. Nur fünf Bereiche fallen in die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten: Sport, Jugend, Kultur, Bildung und der Zivilschutz.
An der Beschlussfassung der EU und den Entscheidungen über die genannten Politikfelder sind mehrere Institutionen beteiligt: das Europäische Parlament, der Europäische Rat, der Rat der Europäischen Union und die Europäische Kommission. Das Europäische Parlament in Straßburg ist die Stimme der Bürger*innen. Dort verfassen und beschließen die gewählten Vertreter*innen mit den Ratsmitgliedern neue Gesetze und überwachen die Arbeit der Europäischen Kommission. Der Europäische Rat sind quasi die „Chef*innen“ der EU. Er besteht aus den Staats- und Regierungschef*innen der einzelnen Mitgliedsstaaten und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten fest. Der Rat der Europäischen Union ist die Vertretung der Mitgliedsstaaten, denn ihm gehören die jeweiligen Minister*innen der 27 Mitgliedsstaaten an. Er ist für den Haushalt verantwortlich und beschließt neue Gesetze. Die Europäische Kommission in Brüssel wird auch die „Hüterin der Verträge“ genannt und schlägt Gesetze vor, über die das Europäische Parlament und der Rat dann entscheiden. Außerdem achtet sie darauf, dass Gesetze und Regeln eingehalten werden. Weitere Organe der EU sind der Europäische Gerichtshof, die Europäische Zentralbank und der Europäische Rechnungshof.
Ist die EU ein eigener Staat oder sollte sie zu einem eigenen Staat werden?
Obwohl die EU mit ihren eigenen Organen wie ein eigener Staat agiert und mit Großmächten wie den USA, Russland und China auf Augenhöhe verhandelt, fehlen ihr wesentliche Merkmale für einen eigenen Staat. Die gegenwärtige EU ist wirtschaftlich und finanziell zwar vereinigt, aber die vielen nationalen Eigeninteressen und die bisherigen Verträge lassen einen eigenen Staat derzeit noch nicht zu. Außerdem besitzt die EU auch kein eigenes Militär um eine vereinte europäische Bevölkerung verteidigen zu können und sich gegen die bisherigen Großmächte etablieren zu können.
Die EU hat also mit unserem Leben mehr zu tun, als wir manchmal denken und hat in den letzten 70 Jahren viel erreicht. Frieden, Stabilität, Wohlstand sowie eine einheitliche europäische Währung reichen aber nicht für die Bildung eines europäischen Staates aus. Die vielen nationalen Eigeninteressen, wie zum Beispiel die aktuellen Konflikte mit Polen und Ungarn, zeigen, dass noch viele Hürden überwunden werden müssen. Erst wenn diese Probleme geklärt sind, ist vielleicht der Gedanke an die Vereinigten Staaten von Europa nicht mehr so weit entfernt wie heute.
Literaturverzeichnis
Stratenschulte, Prof. Fr. Eckart D. 2019: Die EU- wer ist das eigentlich? Dies ist ein Steckbrief der Europäischen Union. In: Europäisches Parlament, Verbindungsbüro in Deutschland (Hrsg.): Europa 2020, S. 10ff.
Amt für Veröffentlichung der Europäischen Union 2019: Die Europäische Union- was sie ist und was sie tut. Luxemburg, S.7ff.
Schmuck, Dr. Otto 2020: Motive und Leitbilder der europäischen Vereinigung. In: Bundeszentrale für politische Bildung/bpb (Hrsg.): Europäische Union Infoaktuell- Die Europäische Union im Unterricht. Nr. 345, 420.000. Auflage dieser Ausgabe. S.10ff.
Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2014: Die Europäische Union erklärt- so funktioniert die Europäische Union- Ihr Wegweiser zu den EU-Institutionen. Luxemburg, S.3ff.
Zandonella, Bruno: Pocket Europa. EU-Begriffe und Länderdaten. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2005, 2009 aktualisiert, https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/pocket-europa/16955/supranational, (zugegriffen am 20.12.21)