von Barbara Hayessen

In einigen Staaten Osteuropas rührt sich in den letzten Jahren eine antidemokratische Haltung, welche sich in Wahlerfolgen rechter Parteien zeigt. Bekannte Beispiele für solche populistischen Tendenzen finden sich in Polen und Ungarn, aber auch Länder wie Tschechien und die Slowakei zeigen solche Tendenzen. Bevor man jedoch vorschnell urteilt, sollte man sich die geschichtlichen Hintergründe dieser Staaten und ihrer Demokratien genauer anschauen. Ich werde mich an dieser Stelle beispielhaft auf Polen konzentrieren. 

Die Demokratie in Polen ist wie die Demokratie in vielen anderen osteuropäischen Ländern erst ungefähr 30 Jahre alt. In Polen haben die geschichtlichen Hintergründe eine deutliche Relevanz, weil Polen lange kein eigenständiges Land war. So wurde Polen im 18. Jahrhundert zwischen Preußen, Österreich und Russland aufgeteilt. Für die nächsten 120 Jahre wurde Polen von diesen Mächten beherrscht, was eine starke Germanisierung und Russifizierung bedeutete. Erst nach dem Ende des ersten Weltkriegs entstand wieder ein eigenständiges Polen. In den Grundsätzen war das Land zwar demokratisch, allerdings gab es starke diktatorische Tendenzen durch den Machthaber Pilsudski. Der zweite Weltkrieg brachte wieder eine Teilung Polens, diesmal zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion. Anschließend wurde Polen Teil des Ostblocks und daher stark durch die Sowjetunion kontrolliert. Erst nach dem Zerfall des Ostblocks konnte Polen demokratisiert werden und ist seit 2004 Mitglied der EU. 

Doch obwohl wir Polen als Demokratie bezeichnen, unterscheiden sich die dortige Parteienlandschaft und die Parteienlandschaft in Westeuropa deutlich. Die Parteien werden zwar in Links, Mitte und Rechts geteilt, dennoch ist das Verständnis dieser Begriffe ein anderes als in Westeuropa. Die Regierungspartei PiS, was für Recht und Gerechtigkeit steht, gilt als konservative Partei mit starken rechten Tendenzen. Die Unterschiede im Selbstverständnis werden beispielsweise an dem Begriff Gerechtigkeit im Namen der Partei deutlich, da die Gerechtigkeit oft als Gerechtigkeit für Polen und nicht als Gerechtigkeit für jeden einzelnen Menschen verstanden wird. Genauso hält sich Polen oftmals nicht an die Dreiteilung der Gewalten, beispielsweise bei der Judikative, dennoch hat die Partei, die dieses beschlossen hat, den Begriff Recht im Namen und weder sie noch viele Polen sehen darin einen Widerspruch. Der PiS gegenüber steht die Oppositionspartei PO, die als liberal-konservativ eingestuft wird. Sie stellen beispielsweise auch den Bürgermeister von Warschau, der sich in den letzten Monaten immer wieder gegen die Politik der Regierungspartei geäußert hat. Im letzten Jahr hat sich eine neue Partei in Polen etabliert, ihr Name ist Polska 2050. Diese Bewegung zeigt sich katholisch-konservativ, pro-europäisch und grün. Diese Kombination an Werten zeigt die Widersprüche, die es zu vereinen gilt, denn die Partei versucht gleichzeitig pro-europäisch und grün zu sein, aber dennoch die alten Werte aufrecht zu erhalten und damit das Land zu einen.

Der polnischen Bevölkerung sind diese Werte wie Katholizismus und Einigkeit der Gemeinschaft besonders wichtig, was an ihrer geschichtlichen Prägung liegt, da diese oftmals der letzte Bestandteil ihrer nationalen Identität waren. Diese Werte sicherten während der Besetzung durch andere Staaten seit dem 19. Jahrhundert ihre nationale Identität und Gemeinschaft. Seit der Einführung einiger liberaler Werte durch die Europäische Union sehen viele, vor allem ältere Bürger:innen Polens diese nationalen Werte in Gefahr. Ein Beispiel dafür ist die Gleichstellung homosexueller Paare, welche in Westeuropa weit vorangeschritten ist, in Ländern wie Polen jedoch immer noch ein großes Streitthema darstellt. Auch Homosexualität an sich gilt in manchen Regionen Polens als Bedrohung der heteronormativen Familie. 

Doch das Verhältnis zur EU im Allgemeinen ist zwiegespalten, einerseits betrachtet man sie als Chance für die Eigenständigkeit, gerade im Kontext der geographischen Nähe zu Russland. Viele Polen sehen in Russland eine Bedrohung, was z.B. durch die Stationierung von NATO-Truppen in Polen deutlich wird. 

Andererseits gibt es die Befürchtung, bald wieder durch jemand anderen kontrolliert zu werden. 

Dies zeigt sich vor allem darin, dass Polen sich weigert, europäische Beschlüsse umzusetzen, was letzten Endes zur Folge hatte, dass die EU ein Vertragsverletzungsverfahren aufgrund des Handelns entgegen der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet hat. Dies wird wiederum teilweise als Eingriff in die Eigenständigkeit Polens gesehen, was unter Betrachtung ihrer Geschichte nachvollziehbar ist.

Wie schon oben erwähnt, gibt es unter Polens Bevölkerung starke Unterschiede zwischen den Generationen. Die ältere Generation ist dabei deutlich konservativer und auf den Schutz der alten Werte bedacht. Sie erinnert sich an die Zeit im Sozialismus, als es zwar nicht viel gab, aber von allem Nötigen genug und fühlt sich jetzt oft vom Rest Europas abgehängt. 

Die junge Generation hingegen ist oft pro-demokratischer und hat vermehrt eine europäische Identität. Die EU hat ihnen viele neue Möglichkeiten eröffnet, wodurch diese Generation beeinflusst wurde. 

Letzten Endes ist es wichtig im Blick zu behalten, dass die Entwicklung der Demokratie in vielen Ländern Osteuropas von der Zeit vor der Demokratisierung geprägt ist. Diese verhältnismäßig neuen Demokratien erleben dieselben Krisen wie die anderen Staaten im Moment, jedoch früher in ihrer eigenen Entwicklung und mit einem deutlicheren Rückblick auf die Zeit vor der Demokratie, was sie die Krisen besonders stark erleben lässt.