von Hendrik Röhr, SKI Jahrgang 2021/22

Anlässlich unseres Jahresthemas „Zeit des Wandels – Europas Rolle in der Welt?“ diskutierten wir am 12. Januar 2022 mit einem ehemaligen Abgeordneten des europäischen Parlaments intensiv über die Klimadiplomatie der EU. Vor diesem Hintergrund kamen wir schnell auf das Thema Taxonomie und die Kontroverse hinter der jüngsten Klassifizierung von Atomkraft und Erdgas als nachhaltig zu sprechen. Ziel dieses Artikels ist es daher, über das Konzept der EU-Taxonomie zu informieren und sich kritisch mit der neuen Klassifizierung von Atomkraft und Erdgas auseinanderzusetzen.

Was ist Taxonomie?

Mithilfe der Taxonomie sollen wirtschaftliche Aktivitäten nach ihrer ökologischen Nachhaltigkeit in einem Klassifizierungssystem der EU bewertet werden. Ziel dahinter ist es, Transparenz und Attraktivität für grüne Investitionen zu schaffen, das Vertrauen von Investoren zu stärken und Anleger vor Greenwashing zu schützen. Für eine Klassifizierung als nachhaltig im Sinne der EU-Taxonomie wird vorausgesetzt, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit zu einem der sechs ökologischen Ziele beiträgt und soziale Mindeststandards einhält, ohne dabei ein anderes der sechs ökologischen Ziele zu konterkarieren (Taxonomie, o. D.).

Gemäß der Taxonomie-Verordnung (EU) 2020/852 sind die sechs ökologischen Ziele wie folgt definiert:

„a) Klimaschutz; b) Anpassung an den Klimawandel; c) […] nachhaltige Nutzung von Wasser- und Meeresressourcen; d) […] Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft; e) Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung; f) […] Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.“

Zusammengefasst geht es in der EU-Taxonomie also darum, große Geldströme gezielt in nachhaltige Projekte zu steuern. Dies wird jedoch problematisch, wenn das Geld durch Greenwashing veruntreut wird und in Projekte fließt, die nachhaltig erscheinen, es aber nicht sind. Angesichts des neuen Rechtsakts zur EU-Taxonomie, wonach Atomkraft und Erdgas im Europäischen Wirtschaftsraum vorübergehend als nachhaltig klassifiziert werden, sieht sich die Europäische Kommission mit viel Kritik und dem Vorwurf des Greenwashings konfrontiert. Doch ist diese Kritik berechtigt?

Tempo bei der Energiewende

Die Europäische Kommission erläutert in ihrem Vorstoß, dass es ihr Ziel sei, den Prozess der Dekarbonisierung in Europa zu beschleunigen. Damit die EU bis 2050 Klimaneutralität erreichen kann, gelte es, alle Möglichkeiten zur Realisierung dieses Ziels wahrzunehmen, wobei „privaten Investitionen in Gas- und Kernenergietätigkeiten eine Rolle beim Übergang“ zukommen soll (Europäische Kommission, 2022).

Demnach sollen Atomkraftwerke dann als klimafreundlich gelten, wenn für den Bau eine Genehmigung bis 2045 vorliegt, sowie ein Plan und finanzielle Mittel für die Entsorgung des Atommülls gegeben sind. Länder wie Frankreich und Schweden, die selbst auf Atomkraft setzen, befürworten dies (Deutschlandfunk, 2022). Das Paradoxon dahinter: Die Frage des Endlagers ist nach wie vor ungeklärt und stellt somit ein Risiko für zukünftige Generationen dar, denn radioaktiver Atommüll strahlt auch nach seiner „Entsorgung“ noch mehrere Millionen Jahre weiter (Grundmann, o. D.). Auch Investitionen in neue Gaskraftwerke gelten gemäß der EU-Taxonomie bis 2030 als nachhaltig, vorausgesetzt sie ersetzen schmutzigere Kraftwerke und werden bis 2035 mit klimafreundlicheren Gasen betrieben, beispielsweise Wasserstoff (DLF, 2022). Anders als bei der Atomkraft wird diese Änderung der EU-Taxonomie durch die Bundesregierung, welche Erdgas als sinnvolle Brückentechnologie ansieht, begrüßt, obwohl der fossile Brennstoff klimaschädliches Methan und Kohlenstoffdioxid (CO2) ausstößt (ZDF, 2022).

Kritik und Fazit

Gegner der Atomkraft wie Deutschland, Österreich, Luxemburg, Dänemark und Portugal lehnen den neuen Rechtsakt zur EU-Taxonomie ab, allerdings scheint es aktuell nicht so zu sein, als dass sie die im Europäischen Parlament notwendigen Mehrheiten dazu besitzen, um den vorliegenden Entwurf zu blockieren. Für diesen Fall haben Österreich und Luxemburg bereits gedroht, vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen und gegen den Rechtsakt zu klagen (DLF, 2022).

Abschließend lässt sich festhalten, dass sich die EU noch uneinig darüber ist, wie sie die Energiewende gestalten und bis 2050 Klimaneutralität erreichen möchte. Fakt ist, dass sowohl Atomkraft als auch Erdgas nicht klimafreundlich sind und langfristig keine Optionen darstellen, um den klimapolitischen Zielen der EU gerecht zu werden. Jedoch kann man dies nicht als Anlass dafür nehmen, um den neuen Rechtsakt zur EU-Taxonomie per se als Greenwashing zu diskreditieren, denn zur Realität gehört, dass die Energiesicherheit der EU zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in vollem Umfang durch erneuerbare Energieträger gewährleistet werden kann. Das darf keine Ausrede sein, um den Ausbau erneuerbarer Energien zu vernachlässigen, gleichwohl erscheint es mir mittelfristig sinnvoll, einen Teil der Geldströme vorübergehend in die Erneuerung von Gaskraftwerken zu lenken. Denn Erdgas kann eine nachhaltigere Umweltbilanz als etwa Kohle oder Erdöl vorweisen und dementsprechend ideal als Lückenfüller in der Energieversorgung agieren, darüber hinaus besteht langfristig die Perspektive, dass Gaskraftwerke auf erneuerbaren Wasserstoff umgestellt werden können (Greenpeace, o. D.). Nun ist es an der Zeit, den Ausbau der erneuerbaren Energien weiter voranzutreiben und die Energiewende gemeinsam als Europäische Union erfolgreich zu gestalten.

Literaturverzeichnis