von Lydia Lauer

Neulich in einem Internet-Bewertungsportal: „An der Modellschule für neue Medien in X. funktioniert in manchen (!) Sälen der Lichtschalter.“
Währenddessen spricht die Gesellschaft von Digitalisierung und digitalem Fortschritt, künstlicher Intelligenz, Automatisierung in der industriellen Fertigung und autonomen Autos, nur im deutschen Bildungswesen haben solche Innovationen nur unzureichend Eingang gefunden wie der aufgebrachte Kommentar eines betroffenen Schülers deutlich macht.
Es gibt also offenbar viele Hindernisse, die sich bei der Digitalisierung einer Schule in den Weg stellen.

Vor allem veraltete Geräte und Wartungsstau verhindern, dass sich zielgerichtet mit der Technik beschäftigt wird.
Alltag ist beispielsweise: Vor etwa zwanzig Jahren stiftete vielleicht die Sparkasse medienwirksam ausgemusterte Computer an die örtliche weiterführende Schule. Dass diese PCs heute nicht mehr richtig funktionieren, erscheint eigentlich logisch. In den Augen der Verantwortlichen jedoch ist alles auf einem passablen Stand und funktioniert noch genauso gut wie der Wasserhahn im Klassenzimmer, der zeitgleich eingebaut wurde. Schülerinnen und Schüler motiviert eine solche vorsintflutliche Technik eher nicht zur Benutzung, zumal doch im Keller der Urgroßeltern schon eine neuere Version des gleichen Herstellers als veraltet ausgemustert zu finden ist.
Oft genug geht man in einen Computersaal und kein einziger Computer funktioniert. Zusätzlich kommt noch erschwerend hinzu, dass die Lehrkräfte sich gerne auf die Technik verlassen und dann vor dem Nichts stehen, wenn sie mal ausfallen sollte. Techniker, deren Aufgabe es ist, Schulnetz und Gerätepool zu warten, sind der geheime Wunschtraum aller Schulleiter, die die Digitalisierung werbewirksam in Zeiten sinkender Schülerzahlen auf ihre Fahnen schreiben. Doch anstatt dessen erledigen diese Arbeit die sowieso ständig überarbeiteten und mit zu vielen Aufgaben belasteten Lehrkräfte in ihrer Freizeit und natürlich ohne Bezahlung, höchstens ein Ausgleichsstündchen wird mal dafür gewährt. Das reicht jedoch nur für allererste sowie oberflächlich kosmetische Abhilfe und packt keinesfalls die Missstände an der Wurzel.
Oder die vielgepriesenen Tablets! Bekennenden „Couch-Potatoes“ erleichtert ein Tablet sicherlich die Mediennutzung in bequemer Liegestellung. Aber in der Schule? Außer Rechercheaufträgen über das Schulnetz oder das Nutzen der ein oder anderen digitalen Schulbuchausgabe ist das Ding als Arbeitsmittel kaum zu gebrauchen: Der Schreibprozess ist ohne Zusatztastatur nur schwer zu erledigen, geeignete, mit Gewinn benutzbare Lern-Apps sind selten wie weiße Weihnachten und das Denken wird (zum Glück) keinem dadurch abgenommen. Außerdem schwindet die Akkulaufzeit mit jedem Schuljahr und wie wir wissen, ist die Lebensdauer vom Finanzausschuss des Schulträgers auf Ewigkeiten ausgelegt.
Dabei lassen sich neben dem leidigen Problem der Hardware zahlreiche weitere Ursachen aufzeigen, die die angemessene Nutzung digitaler Einrichtungen in deutschen Schulen erschweren.
Auch an unterschiedlichen Zielvorstellungen der „User“ scheitert das Großprojekt „Digitalisierung an Schulen“. Jugendliche kennen und schätzen elektronische Medien als Kommunikations- und Unterhaltungsmittel: soziale Netzwerke, Messengerdienste, Onlinespiele, Videoplattformen etc. Als reines Arbeitsmittel – so wie in der Berufswelt, auf die die Schule vorbereiten soll, wird es eher selten genutzt. Die heißbegehrten Fächer wie z.B. Informatische Bildung, Neue Medien oder wie auch immer das Fach genannt wird, verlieren ganz schnell ihren Reiz, wenn die Jugendlichen feststellen, dass dort mit den eher trockenen Textprogrammen und Bildbearbeitung sowie Tabellenkalkulation usw. gearbeitet (!) wird, statt sich mit bunter Scheinwelt die Zeit angenehm zu vertreiben.
Mangelnde Medienkompetenz von Schüler/innen und Lehrer/innen trägt ebenso dazu bei, dass die Bemühungen zur Digitalisierung nicht ausreichend Erfolge zeigen.
Jugendliche können zwar gut Videospiele spielen und stundenlang auf sozialen Netzwerken herumhängen, aber das Internet als Arbeits- und Recherchemedium zu nutzen, gehört nicht unbedingt zu ihren Kompetenzen. Viele scheitern an unangemessenen oder unpassenden Suchbegriffen, geben z.B. ganze Schulaufgabentexte („Recherchieren Sie zu Hause umfassend über Anlass und Ursachen des Ersten Weltkriegs und erarbeiten Sie darüber eine kurze Zusammenfassung.“) ein und wundern sich dann, wenn angezeigt wird „0 Ergebnisse zu Ihrem Suchbegriff“. Spätestens dann rufen sie „Frau X, im Internet steht nichts zum Ersten Weltkrieg!“.
Aber auch viele Lehrer/innen (und nicht nur die ältere Generation!) wissen nicht, wie sie die bereitgestellten Medien im Unterricht sachangemessen nutzen können. Ein großer Teil des Lehrpersonals benutzt sie überhaupt nicht, weil man nicht weiß, wie man sie bedient (außer als Projektionsfläche für DVDs in unvorbereiteten Vertretungsstunden oder in der Woche vor den jeweiligen Ferien…). Es gibt genug Lehrer/innen, die zuerst mit Permanentmarker auf die Smartboards schreiben und dann das piepsende Gerät mit nassen Schwämmen wischen. Beides ist natürlich erstens nicht gut und zweitens nur auf dieses mögliche Szenario zurückzuführen: Vorne steht ein/e Handwerker/in, die/der sein einstudiertes Programm abspult und versucht, das 70-köpfige Kollegium mit Spezialeffekten (man kann eine Kreidetafel originalgetreu simulieren!) zu beeindrucken und dadurch zur Benutzung zu motivieren. Die sogenannten „Einführungsstunden“ sind demnach völlig unzureichend und daher unnötig.

Diese ganze wunderbare neue und vor allem funktionierende (!) Technik ist aber natürlich auch nicht ganz kostenlos. Nur leider können sich die Schulträger wie die notorisch klammen Städte und Gemeinden oder die Landkreise die Modernisierung oft erst gar nicht leisten. Da sollte eigentlich nahe liegen, dass man Hilfe vom Staat bekommt. Ein guter Plan, der sogenannte Digitalpakt, ist leider gerade am Unwillen der Länder im Rahmen der Grundgesetzänderung erst mal gescheitert, da die Mehrheit der Länder am Bildungsföderalismus akribisch festhält. Die Angst, das Gesetz zum Digitalpakt könnte zu weit gehen und die Kulturhoheit der Länder aushöhlen, ist vielleicht berechtigt und man muss sich fragen, ob es nicht auch unbürokratischere Formen der Finanzhilfe geben könnte, die weniger in Eigenständigkeit und das politische System eingreifen. So wird man noch abwarten müssen, ob eine konstruktive Lösung gefunden werden wird, um unser analoges Bildungssystem im Rahmen der Digitalisierung aufzuhübschen.

Vielleicht sind wir ja dann irgendwann soweit, dass wir sogar digitale Lehrer/innen haben. Bis dahin müssen wir eben auf ganz normale Tafeln schreiben, wenn die Smartboards nicht funktionieren. So wie vor hundert Jahren. Aber seien wir mal ehrlich, da hat es auch geklappt.
Oder wie ein/e Achtklässler/in der anfangs erwähnten Modellschule für neue Medien in X. brummelte, als ein farbiges Hochglanzprospekt über neue Digitalisierungspläne an jeden einzelnen der über 700 Schüler/innen verteilt wurde: „Oh, in Farbe… Was das wohl gekostet hat… Da sollten sie lieber Lehrer davon einstellen!“